Selen zur Vorbeugung von Krebs

Fragestellung
Wir überprüften die Evidenz, um den Zusammenhang zwischen Einnahme von Selen und Vorbeugung (Prävention) von Krebs zu untersuchen. Dieser Review aktualisiert den bis jetzt neuesten Review zu diesem Thema (Vinceti 2014) welcher bereits eine Aktualisierung von Dennert 2011 war.

Hintergrund
Selen ist ein natürlich vorkommendes Element, mit dem Menschen vor allem durch die Nahrungsaufnahme in Berührung kommen. Die Aufnahme kann jedoch auch über die Luft, das Trinkwasser und Nahrungsergänzungsmittel erfolgen. Kleine Mengen an Selen sind für bestimmte biologische Funktionen des Menschen unerlässlich. Geringfügig größere Mengen können allerdings schon ein Toxizitätsrisiko darstellen. Dadurch ist Selen ein Element mit einem engen, aber bisher nicht gut definierten Bereich zur sicheren Aufnahme. Selen tritt in vielen verschiedenen chemischen Formen und mit verschiedenen biologischen Aktivitäten auf. Ende der 1960er-Jahre berichteten einige Beobachtungsstudien, dass Menschen mit hohen Anteilen von Selen in ihrer Nahrung oder in ihrem Körpergewebe ein niedrigeres Risiko hatten, eine Krebserkrankung zu entwickeln. Außerdem zeigten einige Laborstudien, dass Selen das Wachstum von Krebszellen hemmen konnte. Dies führte zu einem breiten Interesse an selenhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln und Behauptungen, dass die Einnahme solcher Nahrungsergänzungsmittel Krebs vorbeugen könne. Seit dieser Zeit wurden viele weitere Beobachtungsstudien durchgeführt, um die Krebsraten bei Menschen mit hoher und niedriger Selenexposition zu vergleichen. In letzter Zeit wurden auch einige randomisierte, kontrollierte Studien durchgeführt, die geplant wurden, um zu beurteilen, ob eine Nahrungsergänzung mit Selen Krebs vorbeugen kann. Diese Studien trugen wesentlich dazu bei, unser Verständnis der Beziehung von Krebsrisiko und Selen zu verbessern, da sie im Vergleich zu Beobachtungsstudien einen verlässlicheren Studienaufbau aufweisen. Besonders die neuesten Studien zeigten hohe methodische Qualität und statistische Aussagekraft (Power). Einige Studien konzentrierten sich auf die Frage, ob Selen Prostatakrebs vorbeugen kann.

Studienmerkmale
Dieser Review beinhaltet 10 Studien, in denen Erwachsene zufällig (randomisiert) der Gabe von selenhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln oder Placebo zugeteilt wurden, und 70 Beobachtungsstudien, in denen Erwachsene über einen Zeitraum begleitet wurden, um herauszufinden, ob ihr anfänglicher Selenstatus mit ihrem Krebsrisiko in Verbindung stand. Die Evidenz ist auf dem Stand von Januar 2017.

Hauptergebnisse
Alle hochwertigen randomisierten, kontrollierten Studien berichteten keine Wirkung von Selen, um das generelle Krebsrisiko oder das Risiko für bestimmte Krebsarten zu senken, so auch beim am häufigsten untersuchten Endpunkt – Prostatakrebs. Einige Studien legten überraschenderweise nahe, dass Selen das Risiko für höhergradigen Prostatakrebs, Typ-2-Diabetes und dermatologische Auffälligkeiten erhöhen könnte.

Beobachtungsstudien ergaben widersprüchliche Evidenz zu möglichen Wirkungen von Selenexposition auf das Krebsrisiko, ohne Evidenz für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Wenn wir die Ergebnisse dieser Studien zusammen auswerteten, deuteten sie insgesamt auf einen umgekehrten Zusammenhang zwischen Selenaufnahme und nachfolgender Inzidenz von Krebs generell oder einigen spezifischen Krebsarten, wie Darm- oder Prostatakrebs, hin. Beobachtungsstudien haben allerdings große Schwächen. Der Expositionsstatus der Teilnehmer bezüglich Selen hätte falsch eingeordnet sein können, aufgrund von Einschränkungen der verwendeten Indikatoren für Selenexposition und Unsicherheiten bezüglich dem Beitrag bestimmter Formen von Selen zur gesamten Exposition. Zusätzlich könnten nicht gemessene Störfaktoren, wie Lebensstil und Ernährungsfaktoren – eine große und gut bekannte Quelle für Bias in epidemiologischen Ernährungsstudien mit Beobachtungsdesign – vorliegen. Daher ist die interne Validität dieser Studien eingeschränkt.

Im Moment wird die Hypothese, dass die Erhöhung der Seleneinnahme das Krebsrisiko senken könnte, durch epidemiologische Evidenz nicht unterstützt. Zusätzliche Forschung ist notwendig, um zu beurteilen, ob Selen das Krebsrisiko von Menschen mit speziellem genetischen Hintergrund oder Ernährungsstatus beeinflusst und inwiefern verschiedene chemische Formen von Selenverbindungen unterschiedliche Wirkungen auf das Krebsrisiko haben könnten.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

A. Wenzel, freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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